15.12.2021 | Verfasst von Matthias Adolf
NFTs gelten als ein zentraler Hoffnungsträger in der Modernisierung und Digitalisierung der Kunstwelt. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass nicht irgendwo in den Medien wieder über einen Superlativ berichtet wird. Steckt in NFTs wirklich die Zukunft der Kunst? Und welche Einsatzzwecke sind darüber hinaus denkbar?
Spätestens nachdem das Werk «Everydays: the first 5000 Days» von Beeple bei Christies im März 2021 für sagenhafte 69 Mio US-Dollar versteigert wurde, sind News, Podcasts und Pausengespräche über NFTS gefühlt alltäglich geworden.
Aufgrund dessen möchte ich an dieser Stelle auch nicht darauf eingehen, was NFTs genau sind und wie sie funktionieren. Das kann im Netz vielerorts, unter anderem auch bei Wikipedia, nachgelesen werden. Vielmehr möchte ich meine persönlichen Überlegungen kundtun, welchen Einfluss NFTs auf die Kunstwelt haben könnten und welche Einsatzmöglichkeiten auch ausserhalb dieses Marktes denkbar sind.
Werden NFTs den Kunstmarkt revolutionieren?
Hierzu habe ich keine klare Meinung: Nein, werden sie nicht. Denn unabhängig davon, ob es sich nun ein Ölgemälde von Picasso oder eben das NFT von Beeple handelt – die klassischen Mechanismen des Kunstmarktes gelten weiterhin. Es geht um den Kauf, den Besitz und den Verkauf von Kunst. Dank NFTs erlebt der gefühlt etwas altbackene Kunstmarkt aber einen Modernisierungsschub: Es werden neue Käuferschichten erschlossen und es bringt eine neue Generation von Künstlern hervor.
Wie sich aber die Kunstwelt unter dem Aspekt der NFTs entwickeln wird, bleibt sehr spekulativ. Währenddem im Kunsthaus Zürich beispielsweise ein Rembrandt aus dem 17 Jahrhundert besichtigt werden kann, weiss heute niemand mit absoluter Gewissheit, ob «Everydays: the first 5000 Days» (aus technologischer Sicht) die kommenden 50, 100 oder gar 500 Jahre überleben wird.
Um gleich beim Museum zu bleiben. Ein weiterer Aspekt, der gegen NFT-Kunst spricht: Man vergleiche Museumsbesucher vor einem Ölgemälde und einem Screen – In den allermeisten Fällen zieht das Ölgemälde mehr Menschen und für einen längeren Zeitraum in ihren Bann, als es Kunstwerke auf Screens tun.
Menschen, die sich für Kunst interessieren, sind am Ende auch nur Menschen. Sie möchten sich an ihren Kunstwerken erfreuen. Und zwar morgens auf dem Weg ins Bad, während des Mittagessens und abends auf dem Weg ins Bett. In diesem Fall ist ein physisches Werk einem digitalen Werk überlegen. Kaum jemand wird sich nach getaner Arbeit erneut an den Computer setzen wollen, um sich an seinem digitalen Kunstwerk zu erfreuen. Oder wird sein geliebtes millionenteures Objekt in Mäusekinogrösse auf dem Handyscreen betrachten wollen.
Aus ökonomischer Perspektive haben NFTs aber das Potential den Kunstmarkt in neue Sphären zu treiben. Da wären einerseits die bereits erwähnten neuen Käuferschichten, anderseits können gefühlt unbezahlbare Kunstwerke auch unter verschiedenen Besitzern unmissverständlich aufgeteilt werden. Da es sich bei einem NFT nicht um das Kunstwerk per se handelt, sondern lediglich um ein Zertifikat, welches das Kunstwerk eindeutig seinem Besitzer zuordnet, kann ein Picasso beispielsweise auf verschiedene NFTs aufgeteilt werden.
Diese Möglichkeit hat sich die Sygnum Bank im Sommer 2021 zu Nutze gemacht und «Fillette au béret» von Picasso mit einem geschätzten Wert von CHF 4 Mio. tokenisiert. Insgesamt wurden so 4’000 Tokens ausgegeben, die – theoretisch von jedermann – ab einer Mindestzeichnung von CHF 5’000 erworben werden können.
Dieses Beispiel veranschaulticht sehr anschaulich, weshalb NFTs für den Kunstmarkt wichtig sind. Sie fördern nicht direkt das künstlerische Potential des Marktes, aber sie treiben die Kommerzialisierung des Kunstmarkts weiter voran. Kunst lässt sich handeln wie Schweinebäuche – man kann sie als NFT besitzen, ohne sie physisch zu halten.
NFT – Kunst. Und jetzt?
NFTs erleben ihren Hype zwar in der Kunstwelt, aber im Grunde haben sie mit Kunst gar nicht viel zu tun. Wie bereits erwähnt, besagt das NFT nur unmissverständlich, welches Kunstwerk – oder eben welcher Teil eines Kunstwerks – welchem Besitzer gehört. Vereinfacht gesagt ist es ein personalisiertes digitales Echtheitszertifikat.
Sobald man nun das Mysterium NFT auf diese Erkenntnis reduziert, eröffnen sich unzählige potenzielle Einsatzmöglichkeiten. Und dabei braucht man, wie bei Metaverse, gar nicht mal von dem einem abstrakt erscheinenden Hype zum nächsten zu springen. Beispiele für den Einsatz von NTFs böten sich auch in alltäglichen Anwendungen.
So stehen beispielsweise aufgrund immer wiederkehrender Krawalle bei Fussballmatches personalisierte Tickets zur Debatte. Personalisierte Tickets rufen aber auch Fälscher auf den Plan. Mit Hilfe von NFTs wären die Veranstalter aber in der Lage, fälschungssichere, personalisierte Tickets auszugeben. Das NFT bestätigt dann, wer auf welchem Platz welches Spiel anschauen darf.
Ein weiterer potenziell vielversprechender Einsatzbereich für NFTs böte sich in der Luxusgüterindustrie. Würden Rolex-Uhren und Louis Vuitton-Täschchen nur noch zusammen mit einem NFT verkauft, so liesse sich deren Echtheit langfristig und unmissverständlich bestätigen. Zwar werden Luxusuhren bereits heute mit Echtheitszertifikat verkauft – es ist aber ein Hohn zu glauben, dass jemand, der in der Lage ist eine Uhr zu fälschen, nicht auch ein Papier fälschen könnte. Mittels NFT liesse sich der Schwarzmarkt unter Kontrolle bringen. Oder diesen zumindest stark limitieren. Vielleicht heisst es ja in naher Zukunft mal: Rolex ohne NFT? – Fake.
Heilsbringer NFT?
Die beiden genannten Beispiele verdeutlichen schnell das ungeheuerliche Potential, das in NFTs steckt und zeigen sehr klar, dass wir hier – trotz Beeple und USD 69 Mio. – erst ganz am Anfang stehen. NFTs haben das Potential, unseren Alltag um weitere sinn-, mehrwert- und nutzenstiftende Aspekte zu bereichern.
Obwohl ich persönlich davon überzeugt bin, dass NFTs vielerorts Einzug in unseren Alltag halten werden, darf eines nicht ausser Acht gelassen werden: Wie so viele Blockchain-Technologien haben auch NFTs einen ungeheuren Hunger nach Energie. Gerade in der heutigen Zeit, in der Carbon Neutrality ein wirklich ernst zu nehmendes Thema ist, kann der Energiebedarf von NFTs nicht einfach mit ein paar Pflänzchen in Südostasien kompensiert werden.